Herr Wu lacht
Herr Wu lacht, und das ist schön.
Herrn Wus geheimes Leben (und das seines Sohnes)
Um die Zukunft von Herrn Wu und seinem Sohn müssen wir uns offenbar keine Gedanken mehr machen. Außerdem haben er und sein Sohn („Little Wu“) mehr Talent, als sie in der Mensa beweisen dürfen, wie man hier in London sieht, und zwar nur wenige Häuser auseinander. Ich staune.
Herr Wu IV: Geflügelspieß Madras
Vom Ende des Portionierbandes traf Herrn Wu die Liebe.
Es war am dritten Tag, nachdem er ins „Serviceteam“ aufgestiegen war. Nun bekam er jeden Tag einen Platz an dem Band zu gewiesen, das den Studenten die Tabletts mit dem „Stamm-Menu“ in langen Reihen entgegen schob. Es hing von der Beliebtheit beim dicken Mensakoch ab, ob man Beilage, Fleisch, Soße oder Dessert auf das Tablett gab, oder ob man Suppe schöpfen musste.
Am dritten Tag war es also gewesen, Herr Wu legte den Curry-Spieß „Madras“ auf das Tablett, als eine Studentin mit runder Brille und verlorenem Blick ans Bandende trat und Herrn Wu anlächelte. Seitdem brannte sein Herz. Doch wie sollte er das Ihre entflammen?
Von der Stiefschwester seiner verstorbenen Mutter erbat er sich per e-mail den stärksten Liebeszauber Südostasiens. Die letzen drei Reisterrassen aus seinem Erbe presste ihm die alte Hexe für eine kleine schwarze Wurzel ab. Vier Monate musste Herr Wu warten, bis es wieder Curry-Spieß „Madras“ gab, denn nur dann kam die Studentin mit der Brille und dem verlorenen Blick. Er schöpfte Reis, als er sie in der Reihe sah. Er zählte die vor ihr Wartenden und die Tabletts auf dem Band.
Noch fünf Hungrige standen vor der Studentin – Herr Wu gab die Wurzel mit dem Reis auf das sechste Tablett, noch vier – Frau Prostic legte den Spieß dazu, noch drei – Frau Tankovsky schöpfte Soße drüber, noch zwei – Frau Güvercin legte den abgelaufenen Schokoriegel daneben. Nur noch einer, ein Student mit Gelfrisur und Barbour-Jacke, stand vor ihr – noch ein Tablett befand sich vor dem Liebeszauberreis. Da beugte sich der Student vor, sah das ihm entgegen geschobene Essen hochmütig an, griff über es hinweg nach dem nächsten Tablett, drehte sich auf den Hacken um und ging. Die Studentin mit der Brille seufzte, zuckte mit den Schultern und nahm das verschmähte Essen. Sie glitt aus Herrn Wus Sichtfeld und mit ihre alle Farben.
In der Nacht ging Herr Wu schweren Schrittes durch die Straßen. Er hatte versucht seinen Kummer mit Schnaps zu ertränken. Er war beim dicken Mensakoch gewesen, der einen unerschöpflichen Vorrat Cognac besaß, den er über den Mensaeinkauf ergänzte. Der Koch hatte den ganzen Abend die thailändischen Transvestiten-Pornos laufen lassen, mit denen sich Herr Wu den Platz am Portionierband erkauft hatte und Herr Wu war noch deprimierter geworden.
Plötzlich griff ihn jemand an dem Arm. „Hi, dich kenn ich! Du bist der Fu-Manchu-lookalike aus der Mensa.“ Unter der Gelfrisur sahen Herrn Wu betrunkene Augen voll irrer Zuneigung an. „He, komm ich kauf dir nen Drink!“ Herr Wu schüttelte den Kopf. Er wies auf den dunklen Kubus der Mensa, vor der sie standen. „Du kommen – ich dir zeigen was“. Er führte den Studenten in den Keller unter der Mensa. Auf dessen ungelenk werbenden Redeschwall antwortete er nur mit kurzen Brocken Ausländerdeutsch.
In der Dunkelheit der Katakomben kreischte der große, vollautomatische Fleischwolf. Roboterarme warfen Fleisch aus großen Transportwannen von oben in ihn hinein. Von einer schmalen Stahlgitterbrücke aus konnte man zusehen, wie ganze Schweinehälften zwischen rotierenden Messern verschwanden.
„Da, du schauen“ sagte Herr Wu. Er legte dem eng bei ihm Stehenden seinen Arm um die Schultern. Sie blickten hinab. Herrn Wus Kopf wurde ganz leicht, vor seinen Augen zerbarsten die Schweinehälften in blutrote Wolken. Der Schwerpunkt des Studenten kippte über das Geländer.
Am nächsten Tag beschwerten sich sieben Esser über Stofffasern in ihrem Hackbraten (Bio). Am Portionierband stand Herr Wu und schöpfte mit steinernem Gesicht Bratensoße.
Mensa Mythen III
Als Herr Wu 17 Jahre alt war, reiste er aus seinem malayischen Heimatdorf nach Hong Kong um sein Glück zu machen. Er fand Arbeit auf dem Bau und bewährte sich als äußerst geschickter Bambusgerüstbauer. Nachdem er seinen ersten Monatslohn erhalten hatte, überredeten ihn seine Kollegen mit ihnen in Wan Chai einen drauf zu machen. In dieser Nacht verlor Herr Wu seine Unschuld an eine Prostituierte namens Suzie Wong und auch sein Herz.
Anstatt sein Geld nachhause an seine kranken Eltern zu schicken, gab er es alles für Suzie Wong aus und bald auch für das Opium, dass ihr Zuhälter verkaufte.
Nach sechs Monaten erhielt er die Nachricht, dass seine Eltern gestorben waren. Durchdrungen von Scham brach er nachhause auf und schwor, nie mehr nach HongKong zurückzukehren. Als er das Bordell verließ, schnitt sich Suzie Wong die Pulsadern auf, da sie ihn in Wahrheit auch liebte.
Zerfressen von Schmerz kreirte Herrn Wu nach seiner Heimkehr aus dem Gemüse, das im Garten der Hütte seiner Eltern wucherte und den alten Nudel, die er auf dem verlassenen Herd vorfand ein Gericht, das er nach seiner toten Geliebten benannte. Später, während seines Studiums in Pyongyang und auch in der ersten Zeit des Exils in Tübingen, kochte er es oft und alle, die sich in der Gemeinschaftsküche befanden, waren wie berauscht vom Duft des Gerichts.
Irgendwann stahl ihm der dicke Mensakoch das Rezept, da er dachte es sei ein geheimnissvolles asiatisches Familienrezept. Doch nie ist er dem Duft oder dem Geschmack der wahren Suzie-Wong-Pfanne auch nur nahe gekommen. Sie muss mit Tränen gewürzt sein.
Mensa Mythen II
Angesichts der regen Nachfrage hier nun eine wirkliche Mensa-Sage. Die Begebenheit wurde mir mündlich von meinem eigenen Bruder vor vielen Jahren mit den Anspruch auf absolute Glaubwürdigkeit übermittelt und widerfuhr einem nicht namentlich bezeichneten Freund von ihm.
“ Jener regelmäßigen Mensagänger fand eines Tages in seinem Beilagesalat eine HALBE Schnecke. Als er nun mit seinem Tablett zur Essensausgabe ging um zu reklamieren tauschte die Frau dort sein Tablett anstandlos um. Mehr noch: Sie bot ihm 7 Mensamarken als Schweigegeld, wenn er nicht weitererzählen würde, dass es sich nur um eine HALBE Schnecke gehandelt hatte.“
Die Erklärung, die Mensaleitung würde es gern sehen, wenn die Leute glauben würden, dass in ihrem Salat Schnecken überleben könnten, jedoch ungern, wenn die Mensagänger sich vor weiteren Schneckenfragmenten grauseln würden, ist nun schnell bei der Hand.
WIR hingegen wissen, dass Herr Wu hinter all dem stecken muss.
Mensamythen I
Als Auftakt zu unserem auf 26 jährlich erscheinende Bände angelegten Kompendium „Mythos Mensa. Von der Vorgeschichte bis zum Internet4.0.“
hier der erste Beitrag:
“ Wenn man das Tablett falsch herum auf das Fließband legt und es so in die gigantische Spülmaschine läuft, die drei Untergeschosse der gewaltigen Kellerräume einnimmt, so geht die gesamte Maschine kaputt. Sie zu reparieren kostet 1000.000€ und dauert 3 Wochen. Der einzige der dies normalerweise verhindert ist Herr Wu aus Malaysia, der für die Sichtkontrolle vor der Maschine eingeteilt ist. Da er gleichzeitig den Salatschredder bedienen muss, besteht immer die Gefahr, dass doch mal ein Tablett durchrutscht. Dies hätte zur Folge, dass:
-Alles Geschirr von Herrn Wu von Hand gewaschen werden muss.
– Herr Wu, der 240€ im Monat verdient, für den Schaden aufkommen muss, es sei denn der schuldige Student wird gefunden, dann bezahlt die Uni den Schaden aus den Studiengebühren.
Herr Wu ist übrigens studierter Kinderarzt, kann seinen Beruf in Deutschland aber nicht ausüber, weil sein Diplom hier nicht anerkannt wird.“
Diese Geschichte basiert aus von mir beiläufig mitgehörten Aussagen der das Band überwachenden Mensaangestelltinnen.
Ich füge hier der Vollständigkeit halber den Mensa Mythos O ein:
Ich stelle mir in schlaflosen Stunden immer wieder die Maschine vor, die das Salatschreddern in der Mensa übernimmt. Sie ist gigantisch groß und nimmt fast das gesamte, dunkle und weitläufige Untergeschoss des Mensagebäudes ein. Das Wummern der Aggregate wird immer wieder unterbrochen von einem dumpfen Knall, wenn die Salatköpfe mit Hochdruck durch eine lange Röhre geschossen werden.
An deren Ende warten blitzende, rotierende Messer, die die Köpfe mit einem lautem, kreischendem Geräusch, in kleine Fetzen zerreißen.
Ein einzelner malayischer Arbeiter bedient die Maschine, er heißt Herr Wu, und hat seine Familie seit Jahren nicht gesehen.
Kein Wunder, dass ich nicht schlafen kann.